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Ihr kleinster Freund

Zu einer guten Ehe gehören Zuneigung und Zärtlichkeit, Aufmerksamkeit, die Fähigkeit, mit netten Gesten zu überraschen, Vertrauen natürlich und viel Verständnis für die Probleme des Partners und einiges mehr, und wenn ich der Meinung bin, mit meiner lieben, guten Gattin eine wunderbare Ehe zu führen, dann gab und gibt es keine Anzeichen, die dem widersprechen möchten.

Bis auf eine Kleinigkeit. Diese Kleinigkeit begann im letzten Herbst. Ganz nebenbei ließ die liebe, gute Gattin die Bemerkung fallen, dass die Frau eines Freundes zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit Diamanten geschenkt kriege, sie hingegen nicht einen einzigen besitze. Nun weiß ich natürlich, dass „diamonds a girl’s best friend“ sind, aber dank meiner Berufung zur Schriftstellerei bin ich eher im Lager des Prekariats als in dem der Luxuskonsumenten anzusiedeln. So nahm ich die Bemerkung auf die leichte Schulter und merkte auch nicht wirklich auf, als sie einige Wochen später wieder auf Diamanten zu sprechen kam und ein paar Tage später erneut. Als wir allerdings vor Weihnachten durch die Innenstadt schlenderten, wies sie auf ein Geschäft hin und meinte, dass das einer der besten Orte sei, um Diamanten zu kaufen. Das war nun nicht mehr ein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern mit einer ganzen Fahnenstange. In den Auslagen des Geschäftes lagen wunderbar gearbeitete Schmuckstücke, aber wir gingen zu schnell daran vorbei, als dass ich Preisschilder hätte entdecken können.

Ein paar Tage später betrat ich das Geschäft. Das Interieur war geschmackssicher und edel, und die Verkäuferinnen waren nicht nur elegant gekleidet, sondern auch ausnehmend hübsch. Begrüßt wurde ich allerdings von einem Herrn, der sich später als Inhaber des Geschäftes zu erkennen geben würde. Ich erklärte, dass ich auf der Suche nach einem Diamanten sei und gestand, von der Materie leider keine Ahnung zu haben. Ich vermute, dass mich der Herr schon bei meinem Eintreten durchschaut hatte: Mit dem ist garantiert kein Geschäft zu machen. Trotzdem war er ausgesprochen höflich, und als ich erklärte, dass mein Budget ungefähr tausend Euro betrage, zuckte er mit keiner Wimper, sondern bat eine seiner Angestellten, ihm eine bestimmte Kassette zu bringen. Die Diamanten, die er mir zeigte, waren winzig. Ich stellte ein paar Fragen zu Diamanten im Allgemeinen und den Winzlingen im Besonderen. Er beantwortete sie mit der gelassenen Ruhe, als habe er den ganzen Tag für mich Zeit.

Ich bat ihn, mir einen der Diamanten zu reservieren und versprach, ihn in zwei Tagen zu kaufen. Der Inhaber war wohl überzeugt, damit das Letzte von mir gesehen zu haben. Er irrte. Zwei Tage später stand ich wieder im Geschäft und erwarb den 0,4-Karäter, den der Inhaber persönlich liebevoll verpackte. Als ich der lieben, guten Gattin die verschwindend kleine Kostbarkeit überreichte, sah ich in ihren glücklichen Augen, wie sehr sie sich des neuen besten Freundes erfreute.

Christoph Braendle